Gedanken zu Bosseljon

Am 23. September des Jahres 2007 jährte sich der Todestag des bekannten Krefeld-Forstwalder Malers, Dichters und Komponisten Berndt Bosseljon zum dreißigsten Mal. An ihn und sein kompositorisches Schaffen erinnert der folgende, in sehr persönlichem Ton gehaltene, Beitrag von Hans Dieter Peltzer. Der Autor, im Hauptberuf Studiendirektor für die Fächer Latein und Philosophie am Gymnasium der Stadt Korschenbroich, war in den siebziger Jahren eng mit Bosseljon befreundet und hat in seiner nebenberuflichen Tätigkeit als Tontechniker eine Reihe von Konzerten Bosseljons aufgenommen und archiviert.

CDs sind beim Autor zum Selbstkostenpreis erhältlich.
(Vgl. Liste der Tonaufnahmen unter Hobbys > Tontechnik > [ Verzeichnis der Konzertaufnahmen ]!)

 

Lieber Berndt,

seit fast 30 Jahren abwesend im „Reich der Schatten“, bist Du doch – immer mal wieder, und so auch jetzt – anwesend in meinen Gedanken. Denke ich an Dich, und das meist in Wachphasen der Nacht, so werde ich – wohl in Anlehnung an Heine – um meinen Schlaf gebracht.

Du fragst: „Wieso?“

Seit mich die Redaktion des „Forstwald“ ansprach und fragte: „Nicht wahr, Dieter, Du hast den Berndt gekannt, Du warst häufig in seinem Haus im Forstwald, Du hast viele seiner Tonwerke in Zusammenarbeit mit seinen Musikfreunden Franzjosef Franzen aus Korschenbroich und Walter Berlemann aus Essen aufgenommen, Du wirst uns doch für einen Beitrag über den Berndt helfen?“ und ich spontan „Ja“ gesagt habe, seitdem ist meine „Vorruhestands“-Ruhe dahin.

Über Dich nachzudenken und zu schreiben, ist nämlich leicht und schwer zugleich: Leicht ist es, aus Christoph Dohrs Werk „Musikleben und Komponisten in Krefeld“ aus dem Jahre 1992 Deine Biographie zu zitieren, etwa, dass Du „als Sohn des Schuhmachermeisters Arnold Anton Bosseljon und seiner Frau Anna Christina, geb. Bohr, in Krefeld am 2. August 1893 geboren wurdest“ oder, dass Du „vom 31. Oktober 1910 bis zum 16. März 1912 Dich in Aachen aufgehalten hast“ oder dass Du „in zweiter Ehe mit Anne, geb. Röhrig, verheiratet warst, als Dreißigjähriger Dich abermals beruflich neu orientiert hast, für zwei Jahre nach Berlin gezogen bist, im Kreis der Expressionisten Conrad Felixmüller und Carl Sternheim gelebt hast, dem Hindemith-Kreis nahe gestanden, die ungeheuren Möglichkeiten der Neuen Musik gesehen, wochenweise auch in Wien gewohnt hast“ oder, dass Du „seit Mitte der 50er Jahre in einem kleinen, mit eigenen Mitteln errichteten Haus im Forstwald, dem bevorzugten Viertel der „Krefelder Künstler“, denen Du Dich zuvor angeschlossen hattest, gewohnt hast – bis zu Deinem Tod am 23. September 1977″.

Schwer dagegen ist es, Dich und Dein Werk angemessen zu deuten und zu fassen. Du lebtest seit Mitte der 50er Jahre, zusammen mit Deiner geliebten Frau Anne, in ei­nem kleinen Haus im „Forstwald“. Ich musste heute Nacht einfach über den Begriff „Forstwald“ einmal nach­denken. „Forst“ – so habe ich vorsichtshalber im Deutschen Wörterbuch von H. Paul nachgelesen – ist, im Gegensatz zu Wald „als bewirtschaftetem Waldgebiet“ , „der dem Herrscher vorbehaltene Wald“. Forst, Wald oder Forstwald? Wie dem auch sei: Mich erinnern diese Be­griffe spontan an das Vorwort von Heideggers Werk „Holzwege“: „Holz“ lautet ein alter Name für Wald. Im Holz sind Wege, die meist verwachsen jäh im Unbegangenen aufhören. Sie heißen Holzwege. Jeder verläuft gesondert, aber im sel­ben Wald. Oft scheint es, als gleiche einer dem anderen.

Doch es scheint nur so. Holzmacher und Waldhüter ken­nen die Wege. Sie wissen, was es heißt, auf einem Holzweg zu sein. Ich nehme an, auch Du und Deine geliebte Anne, ihr beide wusstet, was es für euch heißt, im Forstwald ein kleines Waldhaus zu bewohnen, welches ich mehrere Male – meist im Zusammenhang mit Tonaufnahmen – besuchen durfte.

Damit komme ich zu dem noch schwierigeren Teil, Dein Werk, also das, was Du als Tonkünstler geschaffen hast, auch nur einigermaßen angemessen zu erfassen.

Dabei zeigt schon ein Blick in diejenigen 50 Werke, die Du der Öffentlichkeit zugänglich machtest, die Du – der Tradition entsprechend – mit Opus-Zahlen versehen hast, und ein Blick in die anderen 30 Werke, die Du gar nicht erst nummeriert und der GEMA gemeldet hast, wie schwierig es selbst für einen versierten Musikwissen­schaftler wie den schon erwähnten Christoph Dohr war, die Besonderheiten Deines kompositorischen Schaffens aufzuzeigen.Um wie viel schwieriger muss es da für mich als „Auf­nehmer“ einiger weniger Deiner Kompositionen sein, Dein kompositorisches Schaffen zu überschauen, geschweige denn Deine eigene Tonsprache zu verstehen. So will ich mich darauf beschränken, mich an diejenigen Deiner Werke, die ich aufgenommen habe, zu erinnern und wie­derzugeben, welche Wirkung sie auf mich haben.

Eines Deiner ersten Werke, die ich kennengelernt habe, habe ich mit Herrn Franzen am 2.3.1969 in Köln-Troisdorf aufgenommen: Deine Messe für Chor, Orgel, Bläser: Kyrie, Gloria, Sanctus, Benedictus, Agnus Dei u.a.

Danach folgte in der St. Andreas-Kirche Korschenbroich u.a. im Rahmen eines Festlichen Konzertes für Bläser, Chor und Orgel am 3. Juni 1973 Deine „Intrada“ aus dem Jahre 1968.

Danach kamen mehrere Klavierkonzerte mit dem Pia­nisten Walter Berlemann in Krefeld, vor allem das im Rittersaal der Burg Linn am 26.10.1973. Auf dem Pro­gramm standen damals u.a. von Dir die ,,5 Gesänge für Bariton und Klavier nach Texten von Otto Blume, op. 47 und Deine Sonate Nr. 2, op. 32 für Klavier.

Der „Aufnehmer“ bei der Arbeit – Orgelempore der St. Andreas-Kirche Korschenbroich – Foto: Jürgen Heveling

 

Im Rahmen der „Korschenbroicher Konzerte“ habe ich dann – soweit ich mich erinnere – die „Tre Modi“ für Orgel, op.50 aufgezeichnet. Zumindest aber einen Satz daraus: „Lento Lamentoso“ , den Franzjosef Franzen Dir zur Ehre im Oktober 1977 gespielt hat, nachdem Du zuvor im September Dich auf Deine weite Seelenreise begeben hattest. Krönender Abschluss meiner Aufnahmetätigkeit mit Werken von Dir war bisher die komplette digitale Aufzeich­nung von „Opus 89“ im Jahre 1989 in Krefeld, welche ich meinem Bekannten Christoph Dohr zu verdanken habe. „Krönender Abschluss“? Das kann wohl nur zeitlich ge­meint gewesen sein. Denn: Erst vor wenigen Tagen entdeckte ich beim Aufräumen meiner Bandaufzeichnungen eine Uraufführung Deines Werkes „Passacaglia“, aufge­nommen und festgehalten für die Nachwelt in der Aula des Gymnasiums zu Grevenbroich im Jahre 1976.

Das Wort „Passacaglia“ hat mich heute Nacht wieder nachdenklich gemacht, kommt es doch aus dem Spanischen (pasar una calle) und bedeutet: „eine Straße ent­lang gehen“ und war ursprünglich ein Volkstanz.

Aber: Im Gegensatz zur „Chaconne“ steht die „Passa­caglia“ meistens in Moll-Tonarten, also in „weichen“ oder gar „traurigen“ Tonarten. Lieber Berndt, ich frage mich oft, ob dieses Wort „Passa­caglia“ vielleicht ein Schlüsselbegriff für Dein komposito­risches Schaffen ist. Denn: Einerseits steht es vom Volkstanz-Charakter her für Fröhlichkeit, welche ich bei den langen und gemütlichen Abenden in Deinem Forst­waldhaus immer wieder erleben durfte, andererseits aber auch für eine tiefe, wenn auch mehr verborgene Trau­rigkeit, die ich immer wieder beim Anhören Deiner Werke zu verspüren glaube.

Ähnlich wie mit der „Passacaglia“ geht es mir, wenn ich Dein „Lento Lamentoso“ anhöre – das Stück also, dessen Charakter das zugleich „lento“, „langsam“ oder „sanft“, und „lamentoso“ , „schmerzlich-leidenschaftlich“ ist. Vielleicht bietet die fast heraklitisch zu nennende Gegen­sätzlichkeit zwischen Deiner Liebenswürdigkeit im Umgang mit den Menschen und der mitunter regelrecht abweisenden Schroffheit Deiner Musik den Schlüssel zum Verständnis Deiner musikalischen Sprache, spiegelt diese Gegensätzlichkeit doch exakt die Summe Deiner Lebenserfahrung wider: das Leid, dass Du in zwei Welt­kriegen als Soldat und während Deiner Kriegsgefangenschaft ansehen und wohl auch selber erdulden musstest, über das Du nie sprechen konntest, den Schmerz über das Scheitern der ersten Ehe zu Beginn der zwanziger Jahre, die Bedrängnis in der Nazizeit, als Du Dich weiger­test, der Partei beizutreten, die Trauer über die Zerstörung Deiner Heimatstadt mitsamt dem geliebten Elternhaus und dem Theater, an dem Du bis zu dem ver­heerenden Bombenangriff als Chordirektor wirktest. Auch die materielle Unsicherheit, die ständige Suche nach einem sicheren Arbeitsplatz, welche Deine gesamte Tätigkeit geprägt hat, schlagen sich in der Schwere Deiner Musik und in Deiner Aggressivität wider; das Glück aber, das Du mit Deiner Anne im Kreise der Freunde von der Künstlerkolonie während gut dreißig Jahren im Forstwald erleben durftest, das fand seinen Widerhall in der Offenheit, der Heiterkeit und besonders der großen Hilfsbereitschaft, für die Du von denen, die Dich kannten, so gerühmt wirst.

Quelle: „Der Forstwald“ – Mitteilungen des Bürgervereins – Ausgabe 36 Jahrgang 2007

Mit diesen Gedanken möchte ich mich nun für heute von Dir verabschieden und Dich wieder in Deine wohl verdiente Ruhe im Reich der Schatten entlassen . . .

Dein „Aufnehmer“ Hans Dieter Peltzer